Bis eins und eins drei
wird
Eine Rockschule
überwindet Brücken
Ich sollte ja im Irak sein. Aber einmal mehr stimmt der Soll- nicht mit dem Ist-Wert meiner Berechnungen überein. Eine Woche vor Abflug muss der Workshop in Erbil verschoben werden. Es gilt umzudisponieren und ich stelle meine Kreativität und mein Glück einmal mehr auf die Probe. Was lässt sich in einer Woche organisieren?
Die Lösung lautet Kosovo. Und ich sollte den Wechsel nicht bereuen.
Ich klopfe vorsichtig beim anvisierten Projekt an, ob ich - spontan - naja, bereits nächste Woche - bei ihnen vorbeischauen könnte. Schon da merke ich, das Team ist sich unplangemässe Änderungen gewohnt. Sie lassen sich nicht aus dem Konzept noch aus der Ruhe bringen und sagen - ohne Weiteres - zu.
Wieso Kosovo? Das ist doch Schnee von gestern!
Wenn das so wäre, wäre so einiges anders und ich bestimmt nicht hier.
Das Konzept der Musiker ohne Grenzen überzeugte mich sofort, aber wie es wohl mit der Umsetzung aussieht?
Überhaupt scheint mir die Geschichte, vor dessen Hintergrund sich das Projekt abwickelt etwas absurd - mit dieser verrückten Brücke, die das Leben in zwei Teile trennt und einer Bevölkerung, die sich nicht begegnet. Und das heute - 18 Jahre nach Kriegsende. Alles nicht so vorstellbar - umso dringender muss ich da hin und mir mein eigenes Bild machen.
Eintauchen
Nachdem ich in Pristina etwas Hauptstadtluft geschnuppert habe, zieht es mich nach Norden, an die Grenze, an die Schnittstelle, an die Trennlinie, die eine Gesellschaft auseinanderreissen soll.
Nach einer einstündigen Fahrt durch das Land, das nur einen Viertel der Fläche der Schweiz hat, bin ich da - in Mitrovica. Angekommen im Brennpunkt, an dem Spannungen aus dem gesamten Balkan zusammenlaufen. Gleichzeitig voller Erwartungen und ohne Vorstellungen taste ich mich an die Konfliktstelle heran.
Ich lasse mich für zwei Wochen auf ein Leben ein, das sich mit nichts vergleichen lässt, was ich bisher gesehen habe. Etwas europäisch und doch weit entfernt, muslimisch aber überhaupt nicht arabisch, slavisch und doch mediterran. Die Stimmung ist heiter und entspannt. Wo genau ist hier der Haken, denke ich beim Kaffee im Sonnenschein mit Ausblick auf eine Brücke, die sich von keiner anderen zu unterscheiden scheint.
Es sind die 15 Monate Krieg, die einen tiefen Abgrund gerissen haben in das gesellschaftliche Zusammenleben in dieser Region. In Minuten der Zerstörung erlag, was jahrzehntelang an Zusammenhalt aufgebaut worden war. Nationalistische Begehren erstickten jeden Respekt vor dem andern. Ausgelöschte und erschütterte Leben machten gegenseitiges Vertrauen unmöglich.
Seither werden durch eine einseitige Darstellungen der Vergangenheit, das Blockieren von politischen Entscheidungen, gegenseitige Provokationen und Aufrechterhalten einer Feindesrethorik mentale Mauern gefestigt und der Status quo in Stein gemeisselt. Eine neue Normalität wurde etabliert, die es für natürlich erklärt, dass sich die kosovo-serbische und kosovo-albanische Bevölkerung nicht durchmischen - ja nicht einmal begegnen.
Vergangen - vergessen?
Wie kann es in einem Umfeld mit so verhärteten Positionen gelingen, das Kriegskorsett, das der Region jeden Atem zur Entwicklung nimmt, zu öffnen? Wie kann aus dem Nebeneinander ein Miteinander entstehen?
Vielleicht schafft es die Musik, hoffe ich, und nähere mich der Rockschule.
Die Mitrovica Rock School ist als Projekt der Musiker ohne Grenzen entstanden. Seit 2001, zwei Jahre nach Kriegsende, beschäftigt sich Wendy Hassler-Forest mit der Frage, wie Musik in diesem schwierigen Kontext zum Aufbau von nachhaltigen Beziehungen zwischen den verfeindeten Bevölkerungsgruppen beitragen kann.
Doch damit nicht genug, die Frau von äusserer Unscheinbarkeit und innerer Stärke macht es sich gleichzeitig zum Ziel, der jungen Generation Perspektiven zu eröffnen, dem Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten entgegenzuwirken und die Musiktradition wiederzubeleben.
Von ihrer Überzeugung, einen Ort und Rahmen für eine Begegnung zwischen Kosovo-Serben und Kosovo-Albanern aufzubauen lässt sie nichts abbringen.
16 Jahre lang nicht.
Obwohl zu Beginn niemand daran glaubte, dass das Projekt gelingen könnte.
Und was diese Woche passieren sollte, daran hatte sie selbst nicht gewagt zu glauben.
Aber im Vordergrund steht gar nicht die holländisch-amerikanische Programmleiterin. Die regionale Leitung hat sie der jungen Garde anvertraut. Ich werde von Emir Hasani und Lizza Kosova - beide in den Zwanzigern - herzlich begrüsst im kleinen Büro der Schule, 100 Meter von der Brücke entfernt, die hinüber führt zu den “andern”. Die Brücke, die als Verbindung gebaut wurde und die bis heute die Trennung symbolisiert, wie kein anderer Ort im Land. Im Norden von Mitrovica wohnen hauptsächlich die Kosovo-Serben und im Süden die Kosovo-Albaner.
Blog: The Dividing Bridge
Wendy Hassler-Forest sollte erst einige Tage später ankommen. Sie wohnt in Belgrad, das Pendeln zwischen Serbien und Kosovo kennt sie nicht nur von der Arbeit, es gehört auch zu ihrem Alltag.
Im Büro der Rockschule mit Emir Hasani und Elizza Kosova, rechts: Emir Hasani vor dem Poster seiner Band vor 5 Jahren - die erste interethnische Band "Architects"
Der springende Punkt
Natürlich war die Idee nicht hier ins Leben gerufen worden. Und auch nicht gestern. In einem späteren Gespräch erzählt mir Wendy Hassler-Forest von der Uridee: “Am Anfang hatte ich diese Idee, eine gemeinsame Rockschule aufzubauen für die Kinder von beiden Seiten des Flusses. “That was completely naive”, sie lacht herzlich über ihren unbeschwerten Tatendrang, der sie in dieses verrückte Projekt getrieben hatte.
Es sollte sich bald herausstellen, dass eine gemeinsame Schule viel zu gefährlich für die Teilnehmenden wäre. Um in die Schule auf der anderen Seite des Flusses zu gelangen, müssten sie sich der Gefahr aussetzen, von der eigenen Gemeinschaft bedroht und angegriffen zu werden.
Was blieb, war die Möglichkeit zwei Schulen aufzubauen; eine im Norden und eine im Süden. Darauf folgte die nächste Hürde: wie kann ein Ort der Begegnung geschaffen werden, wenn die Schüler in verschiedenen Gebäuden unterrichtet werden? Also wurde das Konzept “Sommerschule” entwickelt und 2008 gelang es eine solche zum ersten Mal durchzuführen. Der Trick daran? Die Musikschüler beider Schulen werden eingeladen, an einer Sommerschule in Skopje teilzunehmen. Skopje ist nur zwei Fahrstunden von Mitrovica entfernt, aber - der grosse Vorteil - es liegt im Ausland, in Mazedonien.
In den Sommerschulen wird nicht nur Musikunterricht angeboten, im Zentrum steht die Gründung von Bands. Und wie dann im Sommer 2008 nach den ersten Berührungsängsten tatsächlich inter-ethnische Bands entstanden, war plötzlich die Frage da, was nun? Die Teilnehmenden drängten, wo und wie sie denn in Zukunft miteinander proben könnten. Und die Organisatoren versprachen, im Kosovo selbst Übungsmöglichkeiten anzubieten. “Wir haben gepokert, sehr hoch, eigentlich hatten wir keine Ahnung, ob dies möglich sein würde. Aber wir waren völlig verliebt in das Projekt und setzten alles daran, Musikinstrumente und Räumlichkeiten aufzutreiben”.
Vieles hat sich getan seit dem Beginn der Bemühungen. Mittlerweilen konnten zwei Schulen, eine im kosovo-serbischen Norden und eine im kosovo-albanischen Süden der Stadt aufgebaut werden, die beide über Übungsräume und einen Konzertraum verfügen. 2016 hatte die Schule 113 Schüler und es wurden 10 interethnische Bands gegründet mit gesamthaft 44 Jungmusikern. Die Schule hat 17 Angestellte, wovon 10 ehemaliger Schüler sind.
In einer der Schulen treffe ich Wendy Hassler-Forest. Auf den ersten Blick springen mir ihre Herzlichkeit und ihre Bescheidenheit ins Auge. Sie bleibt gerne im Hintergrund und überlässt den lokalen Musikern die Show. Dieses Sich-Zurücknehmen und den anderen das Rampenlicht überlassen kündigt sich mit ihrer Ankunft in der Schule an und zieht sich durch die ganze Woche, während der ich das Unternehmen begleite. Sogar noch am Abschlusskonzert zum Ende der Trainingswoche wartet man vergeben auf eine Ansprache von Seiten der Gründerin und Programmmanagerin. Dies übernimmt eine Bandleaderin. Aber so weit sind wir noch gar nicht.
Dem Geheimnis auf der Spur
Ich freue mich, dass sie sich Zeit für mich und meine vielzähligen Fragen nimmt, obwohl ihre Agenda randvoll ist, dringende Fristen heute ablaufen, ihre Zeit im Kosovo knapp bemessen und im Hotelzimmer ihr Mann und ihre beiden Kleinkinder auf sie warten. Ich möchte von ihr erfahren, worauf das Konzept der Rockschule aufbaut, warum es gelang sie zu gründen und warum es sie bis heute gibt - trotz den Umständen.
Menschsein als Identität
In erster Linie gehe es den Initianten der Schule darum, die ethnische Identität in den Hintergrund und die Identität als Musiker in den Vordergrund zu stellen, wie sie sagt.
“You treat them like human beings that interact with other human beings, that is why it works”.
Lokale Kraft
Wendy Hassler-Forest betont wie wichtig es war, die ursprüngliche Projektidee den lokalen Gegebenheiten anzupassen. Deshalb wurde denn auch das Genre des Rocks anvisiert. Die Rockschule baut auf einer langen Rocktradition auf, Mitrovica war bekannt für ein Rockfestival. Allerdings wurde die Rockkultur durch den Krieg und die Verbreitung des Turbo Folks unterbrochen. Die Bands hatten meist aus Musikern verschiedener ethnischer Zugehörigkeiten bestanden, die seit dem Krieg weder zusammen proben noch auftreten können. Durch die Wahl dieser Musikrichtung kann die Schule die älteren Rockmusiker abholen, auf Elementen der lokalen Identität aufbauen und eine Tradition wiederbeleben. “Alle Elemente waren da. Was fehlte, war die Struktur.”
In der Mischung liegt die Würze
Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang auch der Miteinbezug der lokalen Bevölkerung. “If we were a team of internationals, we would be a joke”, bringt es Wendy Hassler-Forest auf den Punkt.
“If we were a team of internationals, we would be a joke”
Expertise und Neutralität
Ich treffe mich im beliebten Musiker-Café Soho mit Ruud Borgers, der für die Fontys Rock Academy arbeitet. Auch er gehört zu den Urkräften der Rockschule in Mitrovica und ist seit 2008 mit dabei. Jedes Jahr. Mehrmals. Unentgeltlich.
Immer wieder ist die Rede von einer gewissen Fontys Rock Academy aus Holland. Was stand hinter der Idee dieser Partnerschaft? Die Studenten und Lehrer der holländischen Schule brachten neben den fachlichen Kompetenzen die notwendige Neutralität mit. Der Fokus blieb so auf natürliche Weise immer auf der Musik. Die ausländischen Gastlehrer kannten den politischen Hintergrund nur wenig und hatten keine Ahnung, ob sie einen Serben, Albaner, Bosnier, Roma, Orthodoxen, Moslem oder Katholiken vor sich hatten.
Wenn eins und eins drei gibt
Ich treffe mich im beliebten Musiker-Café Soho mit Ruud Borgers, der für die Fontys Rock Academy arbeitet. Auch er gehört zu den Urkräften der Rockschule in Mitrovica und ist seit 2008 mit dabei. Jedes Jahr. Mehrmals. Unentgeltlich.
Immer wieder ist die Rede von einer gewissen Fontys Rock Academy aus Holland. Was stand hinter der Idee dieser Partnerschaft? Die Studenten und Lehrer der holländischen Schule brachten neben den fachlichen Kompetenzen die notwendige Neutralität mit. Der Fokus blieb so auf natürliche Weise immer auf der Musik. Die ausländischen Gastlehrer kannten den politischen Hintergrund nur wenig und hatten keine Ahnung, ob sie einen Serben, Albaner, Bosnier, Roma, Orthodoxen, Moslem oder Katholiken vor sich hatten.
“We show them how one and one can become three”
Im Umgang mit den Schülern lässt sich sofort erkennen, wie sehr sie ihn achten und schätzen. Ruud Borgers ist eindeutig eine Leader-Figur für die Rock-Jungtalente, ein Mentor und eine Vertrauensperson. Und wenn seine Augen über den Erfolg einer der Bands ins Funkeln kommen, erkennt man so etwas wie väterlichen Stolz.
Aber muss es denn gerade Rockmusik sein? In einem Land, das sich schwer tut mit einer nationalen Identität ist es doch ganz in Ordnung wenn die junge Generation ihre eigene traditionelle Musik ausübt. Doch um traditionelle Musik zu machen steht ihnen einmal mehr ihre Vergangenheit im Weg. Sie müssten sich auf eine Sprache einigen und überhaupt stünde der ethnische Hintergrund plötzlich wieder im Vordergrund. Für den Zweck der Schule eignet sich das Ausweichen auf eine dritte Kultur und Sprache. Mindestens bis jetzt. Dies gehört auch zu den Grundregeln, alle singen und unterhalten sich auf Englisch.
Und wie wäre es mit klassischer Musik, frage ich den Hardcore Rocker vor mir. Bei Barenboim hat das doch auch geklappt.
“Expressing your soul”
Warum so viel Engagement für ein Land, mit dem ihn nichts verbindet und für eine Organisation, die er bis dahin nicht gekannt hatte? “It is a beautiful example for the power of music. In Holland we are used to use music as a goal. But here - music is a purpose AND a goal”. Aber da ist noch mehr dahinter:
Der Unsicherheit zum Trotz
Als Neuankömmling ist es für mich schwierig die tatsächlichen Gefahren in der Region zu sehen oder eher zu riechen, denn sichtbar sind sie wahrscheinlich nur dann, wenn es zu spät ist.
Bringen sich Schüler und Coaches nicht in Gefahr, wenn sie sich an einem Projekt beteiligen, das den Status Quo, die ethnische Trennung herausfordert? “Auf jeden Fall”, so Wendy Hassler-Forest. “Und sie gehen dieses Risiko bewusst ein.”
Umso wichtiger für die Schule, alle möglichen Mittel für die Sicherheit einzusetzen. “Ich muss garantieren können, dass die Jugendlichen heil in der Schule und wieder Zuhause ankommen.” In der gegebenen Situation ist dies eine grosse, ja überdimensionale Verantwortung den Schülern aber auch den Eltern gegenüber, sind doch ein Grossteil minderjährig. Einige der Massnahmen zur Verminderung des Risikos, dass die Schüler Opfer von Aggressionen werden, ist ein Taxi-Dienst, der den Transport der Schüler zwischen der Schule im Süden und der Schule im Norden übernimmt. Auch zum Schutz der Jugendlichen wurde in dieser Reportage auf Fotos von ihnen verzichtet. Zu heikel, zu schnell könnte etwas passieren. Und auch das Ausweichen auf Skopje ist eine Sicherheitsmassnahme, denn dass interethnische Bands innerhalb des Kosovos gegründet werden, ist undenkbar - oder war es, bis vor Kurzem.
Neonazis an Bord holen
In Bezug auf die Wirkung bleibe ich etwas skeptisch. Wer sind diese Jugendlichen und kann die Schule mehr erreichen als ein nettes gemeinsames Musizieren? Ist es nicht so, wie bei den meisten ähnlichen Projekten, dass die Schule diejenigen erreicht, die ohnehin schon eine offene Einstellung den anderen gegenüber haben? Wendy Hassler-Forest lacht.
“We never had troubles to attract the radicals”
Diese Öffnung gegenüber denjenigen, die sich ideologisch auf der Gegenseite befinden fordert klare Regeln. Dies musste die Schulleitung erkennen, als es bei einem Konzert zu nationalistischen Ausschreitungen kam. Es wurden die “Houserules” aufgestellt. Neben einigen “dekorativen” Regeln geht es darin hauptsächlich darum, dass auf der Bühne kein Platz ist für politische Äusserungen. Auf den ersten Blick mag dies erstaunen, wenn man sozial-engagierten Rock erwartet. Aber näher betrachtet scheint darin ein Schlüssel des Erfolgs zu stecken. Nur so können diejenigen Menschen abgeholt werden, deren politische Überzeugungen im Widerspruch stehen mit den Absichten der Schule, also genau die, die für den Gedanken der Öffnung noch gewonnen werden müssen.
Überhaupt scheint Frieden besser zu funktionieren, wenn man ihn umgeht, nicht ausspricht, ja mit allen Mitteln von ihm ablenkt. “Talking about reconciliation?” Kein Thema für die Rockschule. “You cannot overestimate how cynical people became towards NGO activities aiming at reconciliation. If we were talking about reconciliation - no kids would turn up”. Noch eine Lektion, die ich im Rahmen von PeacePrints nicht zum ersten Mal höre.
Das Paradox der Nachhaltigkeit
Auch wenn bereits viele Lösungen gefunden wurden, einige Knacknüsse gibt es immer noch oder immer wieder. Von den politischen Spannungen und administrativen Parallelsystemen, die das Vorankommen zeitweise vollständig blockieren, abgesehen davon ist die grösste Sorge der Programmleiterin die Finanzierung der Schule.
Und wie sieht es mit Möglichkeiten aus ein eigenes Einkommen zu generieren? Auch das hat die Rockschule nicht unversucht gelassen. Aber eines ist klar: In the local context rock music is unpopular, the opposite of commercial.
You can hardly be underground and self-sustainable and being inter-ethnic and self-sustainable is definitely impossible.”
Langer Atem - Weiter Blick
Trotz aller Hindernisse, die Schule lässt sich den Schwung nicht nehmen - ist nicht mehr wegzudenken. Alle in der Schule sind sich einig. Hauptgrund des Erfolges der Rockschule ist das Mittragen durch sämtliche Involvierte. Mit einem schier endlosen Engagement und einer grossen Mitverantwortung kämpfen die Koordinatoren, Lehrer, Musiker und Coaches für die Schule. Auch dann, wenn das Budget nicht ausreicht, den Angestellten einen Lohn auszuzahlen.
Emir Hasani ist einer dieser Menschen, die sich vielseitig und langzeitig für die Schule einsetzen. Emir Hasani ist auf der Nordseite von Mitrovica gross geworden, ist aber Gorani, eine ethnische Gruppe, die eine slavische Sprache ähnlich dem Serbischen spricht, aber im Gegensatz zu den Kosovo-Serben muslimisch ist. Er war bereits bei der ersten Sommerschule als Schüler mit dabei, wurde Mitglied der ersten inter-ethnischen Band, später Lehrer, dann Bandcoach und schlussendlich lokaler Projektkoordinator.
“We are right now touching the future”, die Schule sei ihren früheren Zielen heute zum Greifen nah, erzählt mir Emir Hasani in einem Gespräch zwischen zwei Bandproben. Junge Menschen kommen zusammen und entwickeln gemeinsam eine Band-Identität, wobei der ethnische Hintergrund irrelevant werde. Ich frage nach, wie es der Schule seiner Meinung nach gelang dieses Ziel zu erreichen und worin er die Bedeutung der Schule für die lokalen Musiker sehe.
“Creating something together connects”
Das Privileg gebraucht zu werden
Und was ist es, das Wendy Hassler-Forest zum Weitermachen antreibt? Wieso ist sie bereit, soviel in ein Projekt zu investieren, soviel auch aufzuopfern? Die Frage belustigt sie sichtbar.
“Working with young people who are in the stage of deciding who they want to become is very meaningful.”
Erfolg in Lebensgeschichten
Den Erfolg ihrer Arbeit misst Wendy Hassler-Forest in Lebensgeschichten
Ich habe eine Frau vor mir mit klaren Prinzipien und Zielen. Sie weiss, was sie tut und sie tut es mit Überzeugung ohne Überheblichkeit und mit einer Prise Selbstironie.
Was bedeutet Frieden?
frage ich sie zum Schluss des Gesprächs, während wir beide schlottern vor Kälte in der kalten Bar der Schule.
Und genau das erlebe ich diese Woche.
Ich erlebe die Schüler als aufgestellte Gruppe von Jugendlichen, die ihre Leidenschaft für die Musik und ihr musikalisches Talent ausleben. Junge Menschen in einer der schwierigsten Lebensphasen, die in eine von Grenzen geprägte Welt hineingeboren werden. Gestützt und geleitet auf der Suche nach ihrer Stimme, nach ihrer musikalischen Identität. Sie proben mit Eifer und Konzentration in den dunklen Bandkellern während draussen der Frühling lockt.
Sie geben alles. Ich weiss jetzt was Ruud Borgers mit “urgency” meint. Es ist da dieser Drang nach Musik, nach Ausdruck, nach Leben. Instrumente sind rar, Orte, an denen geprobt werden kann noch rarer. Um eine elektrische Gitarre nutzen, mit einer Soundanlage arbeiten und gemeinsam Musik machen zu können nehmen die Jugendlichen vieles in Kauf. In kürzester Zeit rufen sie Lieder ins Leben voller Tiefgang, Originalität und Poesie.
Wenn ich den Bands zuhöre, vergesse ich augenblicklich, wer jetzt genau von wo kommt, welchem Umfeld sie entsprungen sind und mit welchen Alltagssorgen sie zu kämpfen haben. Das Einzige was zählt für die Musiker wie für die Zuhörer ist die Musik. Wenn ich die jungen Menschen frage, weshalb sie gerade in diese Schule kommen, ist die Antwort einstimmig: Ich will Rockmusiker werden! Nur hier kriegen sie eine Rockmusikausbildung, die Räumlichkeiten zum üben, Instrumente, die sie sich selbst nicht leisten können, die Möglichkeit vor Publikum aufzutreten und eine professionelle Betreuung hin zu ihrem Ziel. Dass dabei interethnische Bands entstehen scheint für sie unbedeutend, sie wollen mit den besten Musikern zusammenspielen können, von wo auch immer diese stammen.
The Rock School does also help the bands to create crowd funding campaigns - the band Proximity Mine has just published its video.
Wenn ich den Bands zuhöre, vergesse ich augenblicklich, wer jetzt genau von wo kommt, welchem Umfeld sie entsprungen sind und mit welchen Alltagssorgen sie zu kämpfen haben. Das Einzige was zählt für die Musiker wie für die Zuhörer ist die Musik. Wenn ich die jungen Menschen frage, weshalb sie gerade in diese Schule kommen, ist die Antwort einstimmig: Ich will Rockmusiker werden! Nur hier kriegen sie eine Rockmusikausbildung, die Räumlichkeiten zum üben, Instrumente, die sie sich selbst nicht leisten können, die Möglichkeit vor Publikum aufzutreten und eine professionelle Betreuung hin zu ihrem Ziel. Dass dabei interethnische Bands entstehen scheint für sie unbedeutend, sie wollen mit den besten Musikern zusammenspielen können, von wo auch immer diese stammen.
In Mitrovica ein Konzert mit inter-ethnischen Bands und einem inter-ethnischen Publikum zu organisieren ist nach wie vor zu gewagt. Deshalb fahren wir zum Ende der Woche zusammen nach Gracanica. Gracanica ist eine serbische Enklave unweit von der Hauptstadt Pristina. Ein weiteres seltsames Phänomen, wie in diesem ohnehin schon kleinen Land noch kleinere ethnische Inseln entstehen konnten.
Zwischenhalt gibt es im Hotel Gracanica, das eine Stärkung für die Musiker offeriert. Die Gruppe ist Ehrengast in diesem Hotel, das nicht nur architektonisch ein absoluter Hingucker ist. Gründer und Leiter ist der Schweizer Andreas Wormser. Nachdem er über eine Anstellung beim Schweizer Aussenministerium mit der schwierigen Situation der Minderheiten im Kosovo konfrontiert worden war, entschloss er sich, ein Unternehmen aufzubauen, das insbesondere der Roma-Minderheit die Möglichkeit bietet, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Was das Hotel sonst noch so bewirkt und einige sehr lesenswerte Anekdoten aus dem Alltag dieses engagierten Unternehmers sind hier nachzulesen.
Das Team wird nicht müde, eine Grenze um die andere herauszufordern und wagt immer wieder einen Schritt in Richtung dessen, was gestern noch als ausgeschlossen galt. Diese Woche steht ein besonderer Höhepunkt an, dem sie mit Spannung entgegenschauen: Zum ersten Mal sollen interethnische Bands innerhalb des Kosovos gebildet werden (was vorher nur in Skopje möglich war). Die Schüler begegnen hier und jetzt ihrem Gegenüber von der anderen Flussseite. Im Verlauf der Woche lässt die Anspannung allmählich der Erleichterung Platz. Das Experiment hat funktioniert.
“Natürlich wäre es schön, ein gemeinsames Schulgebäude zu haben, so Wendy Hassler-Forest, aber das Wichtigste ist, dass die Jugendlichen gemeinsam spielen und sogar Bands gründen können und das innerhalb des Kosovos. Damit sind wir heute so nahe wie noch nie am eigentlichen Ziel.” Sie sagt es beiläufig, beinahe hätte ich es verpasst.
Völlig unscheinbar und unbemerkt von der Masse ist heute in diesem Keller durch einen kleinen letzten Schritt eine grosse Vision Wirklichkeit geworden. 16 Jahre unnachgiebiges Engagement - 16 Jahre Kampf gegen Kritiker und die harsche Realität - 16 Jahre Glauben an etwas, was es noch nie zuvor gegeben hat.
Ich bin berührt, dass ich diesen Moment - durch viele Zufälle - miterleben darf. Der Moment, in dem ein Traum in Erfüllung geht. Der Moment, in dem die für unmöglich erklärte Idee - an einem Ort der ethnischen Trennung inter-ethnische Bands zu bilden - sich durchsetzt.
Ich frage mich wie viel solcher Visionen täglich in Erfüllung gehen, ohne dass es die Welt bemerkt.
Wie lange bleibt etwas Normalität und wie viel braucht es, damit sich diese verschiebt? Es geistert die Ziffer 32 durch das Netz, 32% der Bevölkerung - die sogenannte kritische Masse - brauche es, um einen Umschwung zu bewirken. In dieser Woche in Mitrovica fühle ich mich auf der Kippe - 31? 31.5? frage ich mich und wünsche mir, dass ich mit dieser Reportage dazu beitragen kann, die noch fehlenden 0.5 auf die Waage zu bringen, auf die Seite, die daran glaubt, dass aus dem Nebeneinanderleben ein Zusammenleben entstehen kann.
Denn eines zeigt auch dieses Beispiel klar, wir müssen das Unmögliche versuchen, um das maximal Mögliche zu erreichen.