Manny
Ansar
Une caravane pour la paix
Annäherungsversuch
Um zwei Uhr morgens setze ich meinen ersten Fuss auf den afrikanischen Kontinent. Dunkle Nacht, auch im Flughafen werden die Lichter gelöscht. Erschöpft von der langen Reise und etwas beduselt weil gerade erst aus dem Schlaf gerissen blicke ich eine Menge von aufgeregten dunkelhäutigen Gesichtern, die sich kaum von der Nacht unterscheiden. Jeder der den Flughafen umschwärmenden Taxi-Chauffeure scheinen für mein Hotel zu arbeiten. Fängt ja gut an, ich hätte den Namen des Hotels natürlich nicht vor den Chauffeuren nennen dürfen. Was nun? Auf gut Glück zum am lautesten Schreienden einsteigen?
Während ich noch nach irgendwelchen undefinierbaren Kriterien die Vertrauenswürdigkeit der verschiedenen Bewerber zu eruieren versuche, kämpft sich meine Lösung durch die Menge. „Lea mon amie, c'est par là“. Immerhin weiss er meinen Namen, denke ich halb erleichtert, halb beunruhigt, folge ihm aber. Schnell zeigt sich, dass „mon amie“ zu den einzigen französischen Vokabeln gehört, die der gute Mann beherrscht.
Doch schon fahren wir durch die staubige Wärme, Richtung Bamako Stadt. So hoffe ich. Ich verwünsche – einmal mehr – meine Entscheidung, diesen Flug gebucht zu haben, aber na ja, Alternativen hatte es bereits nicht mehr gegeben.
Wir halten vor einem Tor, das sich durch nichts von den anderen unterscheiden lässt, weit und breit keine Aufschrift des Hotelnamens. Wir verschwinden im Hofinnern und ich bin angenehm überrascht, dass ich mich tatsächlich in dem Hotel, das ich über Internet gebucht hatte, befinde.
Erst später sollte ich herausfinden, dass der Hotelname zur Sicherheit entfernt worden war – Touristenorte fühlen sich im Visier radikaler Islamisten und setzen alles daran, die viel zu spärlichen Touristen vor Unannehmlichkeiten zu schützen
Unterwegs für den Frieden: La Caravane culturelle pour la paix
Im Wechselbad
Seit drei Monaten versuchte ich die Organisatoren der Caravane culturelle pour la paix zu kontaktieren. Erst über den Administrator eines Partnerfestivals kam ich schliesslich an die langersehnte Direktadresse eines gewissen Manny Ansar; laut Internet dem Initianten der gesuchten Karawane, die ich besuchen wollte. Nach einem kurzen Emailaustausch, in dem er mich herzlich einlädt, die Karawane zu begleiten, ist er nach wie vor wie vom Boden verschluckt.
Gleichzeitig verschlechtert sich die Sicherheitslage im Land. Mehrere Mails aus dem EDA raten mir dringlichst von der Reise ab. Das Ausmass der Bedrohung durch die bewaffneten Gruppen ist aus Distanz kaum abzuschätzen, die Gefahrenzone nur schwer einzuzäunen. Alles, was ich vor Abflug weiss, ist, dass es in Mali eine Karawane geben soll, die über Kultur zur Friedensförderung beitragen will und dass diese im Februar am Festival sur le Niger in Ségou teilzunehmen plant.
Soll ich oder soll ich nicht?
Wenn ich mindestens die definitive Reiseroute der Karawane wüsste. Und wer sind überhaupt die Menschen hinter diesem Projekt, denen ich mich anvertrauen würde?
Mein Bauch entscheidet sich für die Reise ins Ungewisse.
Zwei Tage später das Attentat in Gao, im Norden Malis, das bisher Opfer reichste seit dem Aufstand in 2012. Im Januar 2017 alleine gab es somit mehr Tote als im ganzen vorgehenden Jahr.
Mir bleiben noch zehn Tage bis Abflug am 27. Januar. „Ehm welches Mali meinen Sie“ fragt der Herr, der mir die Postfinance Karte entsperren sollte, „ich habe gerade Schwierigkeiten, es auf der Karte zu finden“. „Schönen Strandurlaub“ wünscht mir die Hostess an der Gepäckregistrierung am Flughafen mit einem strahlenden Lächeln. „Hm, meinen Sie vielleicht Bali?“ „Mit diesem Visum dürfen Sie nicht nach Mali einreisen“, so die Schweizer Passkontrolle, es verstreichen weitere Abklärungsminuten. Dann das grüne Licht „scheint sich in der Zwischenzeit geändert zu haben“, lächelt der Passbeamte freundlich. Nicht gerade die häufigste Destination.
Und nun bin ich also hier, mitten im malischen Leben. Am 28., am ersten Tag nach meiner Ankunft, soll das erste Konzert der Karawane in Timbuktu stattfinden. Ein Name, der Fernweh verursacht: Oasenstadt, Wüstenwind, Weltkulturerbe, vorbeiziehende Karawanen, märchenhafte Moscheen aus Sand (nein aus Lehm, aber in meiner Vorstellung waren sie aus Sand) und Ausgangsort für Entdeckungsreisen in die umliegende Sahara. Seit 2012 – einer der Schauplätze, an denen der aktuelle Konflikt ausgetragen wird.
Ich warte vergeblich auf ein Zeichen der Karawane. Ganz Bamako scheint Manny zu kennen und reden mit Hochachtung von ihm, aber keiner hat seine Telefonnummer. Ich erfahre erst Tage später, dass das Konzert in Timbuktu abgesagt werden musste. Zu heikel.
Unterdessen taste ich mich allmählich an das Leben in Bamako heran und versuche mich mit diversen Tricks von der Funkstille und vom Gedanken, dass es diese Karawane vielleicht gar nicht (mehr) gibt (mindestens dieses Jahr), abzulenken.
Unterdessen lese ich, dass zwei Anhänger der dschihadistischen Gruppierung Al Mourabitoun, die ein Attentat in Bamako geplant hatten, soeben festgenommen werden konnten. Unschlüssig, ob mich dies beunruhigen oder beruhigen sollte, suche ich das Gespräch mit Menschen und versuche mir einen besseren Überblick über die aktuelle Konfliktsituation zu verschaffen.
Das Wüstenfest
Am Anfang stand das Festival au Désert. Ein Kulturfestival, das jährlich in Timbuktu durchgeführt wurde, 2001 von Manny Ansar gegründet oder genauer genommen Mohamed Ag Aly Ansar (also Sohn von Aly).
Das Festival gründet auf einer Jahrhundertealten Tradition, dem Takoubelt (in Kidal) oder Temakannit (in Timbuktu). Ein Treffen bei dem die Tuareg der Region einmal jährlich zusammenfinden, um gemeinsam zu musizieren und auszutauschen. Neben dem Spass war dieses Fest auch Anlass, um Probleme zu besprechen und Konflikte zu lösen.
Im Vergleich dazu ist das Festival au Désert stärker daran ausgerichtet, eine Brücke zu schlagen zwischen Tradition und Moderne und auch zwischen lokalem Brauch und internationalem Zusammenkommen. Im Laufe der Jahre zog das Festival Tausende Besucher aus der ganzen Welt an und wurde zu einer wichtigen Einnahmequelle für die Bewohner dieses ärmlichen Landesteils.
Mit den Unruhen in der Region wurden ausländische Gäste immer stärker eingeschüchtert. Es kam zu gewalttätigen Übergriffen durch Ableger der Terrorgruppe Al-Qaida, besonders auf Touristen, sodass es immer schwieriger wurde, die Sicherheit zu gewährleisten.
Die letzte Festival-Ausgabe fand im Januar 2012 statt, unter höchst bedrohlichen Vorzeichen eines ausbrechenden Bürgerkrieges und Warnungen rieten sämtlichen internationalen Gästen, dem Festival fernzubleiben. Den Drohungen trotzte unter anderem Bono, der legendäre Frontmann der Gruppe U2. Gemeinsam mit Tinariwen, der bekanntesten nordmalischen Musikgruppe, sangen sie „Vive le Mali, vive la paix, vive la musique“:
Video: "Vive le Mali, vive la paix, vive la musique" und hier geht's zum Film über das letzte Konzert: The last song before the war.
Nur wenige Tage danach löste das MNLA (Mouvement national pour la libération de l'Azawad) die Tuareg Rebellion aus, mit dem Ziel mehr Unabhängigkeit für den Norden (Azawad) zu erkämpfen. Gefolgt wurde diese erneute Rebellion von einer gravierenden Destabilisierung des malischen Nordens durch verschiedenste bewaffnete Gruppen und einen Staatsstreich. Islamistische Gruppen beschlagnahmten zunehmend Gebiete des Nordens und verboten unter anderem jeden künstlerischen Ausdruck und erklärten das Ende des Festival au Désert. Hunderttausende Menschen wurden in die Flucht getrieben. Darunter auch Manny Ansar und seine Familie. Das Festival war gezwungen, seinen Standort aufzugeben.
Während andere traumatisiert vom Erlebten und voller Angst um das Bevorstehende die Arme sinken liessen, wurden von Kulturschaffenden in den Flüchtlingslagern in Burkina Faso neue Pläne geschmiedet. Bald entstand von Manny Ansar und Partnern und Freunden im In- und Ausland die Idee, mit dem Festival au Désert auszuwandern, ein Festival im Exil zu gründen.
Video: Festival au Désert en exile
Ein Festival in Bewegung
Das Festival sur le Niger (Mali) und das Festival Taragalte (Marokko) eilen ihrem „Bruderfestival“ zu Hilfe und gemeinsam gründen die drei Direktoren unterschiedlicher Ethnien Mamou Daffe (Ségou, Bambara) Halim Sbaï (Marokkaner) und Manny Ansar (Timbuktu, Tuareg) die Caravane culturelle pour la paix. Ein Leben in Bewegung entspricht einer noch stark verankerten Kultur in der Region, in Kürze scheint sich das Festivalteam an die neuen Umstände gewohnt zu haben. Bereits 2013, ein Jahr nach der Vertreibung, wird eine erste Ausgabe des Festivals im Exil im Flüchtlingslager in Burkina Faso durchgeführt. Die offizielle Gründung der Caravane culturelle pour la paix findet im November 2013 statt und ist in den folgenden Jahren in Ségou und Mopti (zurück in Mali) und in Taragalte (Marokko) zu Besuch.
Die Karawane besteht aus einer fröhlichen interkulturellen Gruppe von Menschen, die verbunden werden durch ihren Wunsch, sich für den Frieden zu engagieren. Die einen mit Musikinstrumenten, die andern durch Unterstützung der Organisation dieses anspruchsvollen Unternehmens.
Dieses Jahr sind vier Konzertabende und zwei Konferenzen in drei verschiedenen malischen Städten geplant. Die Tournée beginn mit einer Carte blanche am Festival sur le Niger, ein ganzer Abend des viertägigen Festivals ist der Caravane und dem Thema Frieden gewidmet. Danach reist die Gruppe weiter nach Sikasso, wo ein Konzert im Fussballstadion stattfindet. Darauf folgt ein Auftritt im Institut français in Bamako und das grosse Schlusskonzert am Niger-Ufer ebenfalls in Bamako.
In den Sommermonaten plant die Caravane Auftritte ausserhalb von Mali, wahrscheinlich auch in Europa. Im Herbst schliesslich ist sie zu Besuch beim Festival Taragalte im Süden von Marokko.
Die Caravane hat es geschafft, das „Festival auf der Flucht“ in ein „Festival auf Tournée“ zu verwandeln.
Für den Frieden aus Marokko angereist "Daraa Tribes", hier geht es zum Sehnsucht erweckenden Videoclip von Margot Canton Lamousse und Team
Ein Land im Musikfieber
Die unverhoffte SMS kommt fünf Tage nach meiner Ankunft in Mali: „morgen Abfahrt nach Ségou“. Es gibt sie also doch, die Karawane.
Nach mehrstündigem Warten (worauf?) sind wir nun mit halsbrecherischer Geschwindigkeit unterwegs von Bamako nach Ségou. Natürlich mit obligatem Teestop. Mali ohne Tee geht gar nicht, er gibt den Menschen einen dreistunden Rhythmus in den Alltag, genauer als die Uhr in der Schweiz. Der Gaskocher, 10 Gramm Tee und ein halbes Kilo Zucker immer zur Hand.
Wo soll bei diesem Wind der Gaskocher aufgebaut werden? Frage ich verwirrt. "Wir haben eine sehr sichere Lösung", sagt einer der jungen in Turban gewickelten Männer, die mich sicher nach Ségou führen sollen und zündet den Gaskocher ans Gaspedal des Autos gelehnt an, bei offener Türe versteht sich und beginnt mit der aufwändigen Teezeremonie zwischen Knien, Handbremse und Türrahmen. Kein Tropfen Tee landet im Auto, egal von wie hoch er den Tee vom Teekrug am Steuerrad vorbei ins Glas und wieder zurück giesst. „Aman Iman“ sagt er und lächelt zu mir herüber während der Tee aus der Kanne fliesst,
„Wasser ist Seele oder sagen wir Leben. Das musst du dir merken, wenn du mit uns Tuareg unterwegs bist.“
Zum gleichnamigen Album der Gruppe Tinariwen geht es hier.
Einmal mehr bin ich erstaunt, wie aus dieser Miniatür-Kanne immer genug Tee für alle fliesst. Unverhofft denke ich an Tischleindeckdich, komme dem Geheimnis aber nicht auf die Schliche. Bald geht die Fahrt weiter.
Ich hatte mich auf eine mühselige Fahrt vorbereitet, nun befand ich mich in Mitten eines Rennens, dem ich angespannt folgte. Mali im Musikfieber. Die Autofahrer sind vor Aufregung und Vorfreude nicht zu bremsen. Wie magisch angezogen jagen die Autos über die staubig und vor Hitze flimmernde Strasse gegen Norden. Holen sich immer wieder gegenseitig ein, gestikulieren, lachen und schreien sich mal beleidigende, mal anfeuernde Worte zu, während sie knapp einem Lastwagen oder Schlagloch ausweichen.
Gemeinsam mit den Musikern werden wir in einem Hotel in irgendeinem Aussenviertel einquartiert. Noch ist mir völlig unklar, wer zur Caravane gehört, wer welche Rolle hat, geschweige denn, wer zu welcher ethnischen Gruppe gehört. Dieser Verwirrungszustand sollte noch eine Weile anhalten.
International Grössen wie Salif Keita wissen die Menge ins Rasen bringen
Auf dem Festivalgelände herrscht Ameisenbetrieb. Als Neuling auf diesem Kontinent scheinen mich die Eindrücke fast zu erschlagen. Überwältigende Farbigkeit, ausgelassene Heiterkeit, geschäftiges Rufen und Hantieren. Wir drängen uns durch den dichten Markt und gelangen ans Niger-Ufer. Eine Gruppe von Sängerinnen stehen dicht gedrängt auf einer Piroge und schreien anfeuernde Lieder zu den Fischern im Wasser, die den Fang eines besonders grossen Fisches nachspielen. Ein fantastisches Schauspiel. Im warmen Abendlicht wirken die Farben noch knalliger, ein goldener Schimmer liegt über dem Wasser, die dunklen Gesichter leuchten aus den weissen Gewändern, während das ganze Schiff im Rhythmus wiegt. Ich möchte die Szene anhalten, sie in Zeitlupe geniessen, um mich auf jedes einzelne Gesicht konzentrieren zu können. Die Menschenmenge, die das ganze Ufer belagert hat, kreischt vor Vergnügen, jubelt, fotografiert.
Unverhofft war ich mitten in der Caravane gelandet. Gerade noch ohne Vorstellung kriege ich jetzt die Intensiv-Kur, umgeben von Musik, Tanz, Fest, und vielen Menschen, die mir zulachen ohne dass ich sie halbwegs zuordnen kann. Kulturbad, Sprachbad, Sinnbad.
Die treibende Kraft
Was von all dem aber ist nun wirklich Caravane culturelle pour la paix? Während ich noch wie benebelt bin von den auf mich einprasselnden Eindrücken, versuche ich mich weiter an die „Kulturkarawane“ heranzutasten. Mit einem Gespräch mit dem Mann, der im Hintergrund die Fäden zieht.
Er absolvierte eine Ausbildung in internationalen Beziehungen, gefolgt von verschiedenen Anstellungen im humanitären Bereich. 2012 aus seiner Heimat im Norden von Mali vertrieben, lebte er einige Zeit in Flüchtlingslagern im angrenzenden Burkina Faso. Vater von zwei Kindern wohnt er mit seiner Frau und weiteren Familienangehörigen in Bamako, wo er auch im Bereich der Solarenergie tätig ist. Er ist der Gründer des Festival au Désert und Mit-Gründer der Caravane culturelle pour la paix, die 2013 den Freemuse Award gewann für die Verteidigung des freien künstlerischen Ausdrucks.
Manny Ansar
Mohamed Ag Aly Ansar wurde 1961 in der Oasenstadt Essakane westlich von Timbuktu geboren.
Der vielgesuchte, vielbeschäftigte kaum zu fassende Manny Ansar sitzt mir nun tatsächlich gegenüber. Er nimmt sich Zeit für mich. Das Sorgenkind aus der Schweiz. „Nein, dieses Jahr haben wir keine internationalen Gäste oder Medien eingeladen, nur die ganz Hartnäckigen wie dich haben wir mitgenommen“, meint er schmunzelnd.
Leicht ironisch, aber weit von der Wahrheit entfernt ist es nicht. Neben Kost, Logie und VIP-Zutritten zu Backstage und hinter die Medienabschrankungen sorgt er auch für zwei Schutzengel, die rund um die Uhr auf mich aufpassen. Ich komme in den vollen Genuss der oft gerühmten Gastfreundschaft der Tuareg. In der aktuellen Situation keine einfache Aufgabe, sich um Sicherheit und Wohl einer allein reisenden, weissen Frau zu kümmern.
Er empfängt mich in seinem Büro, wo er eigentlich arbeitet, wenn er nicht gerade seiner Karawanen-Leidenschaft nachgeht. Er verriegelt die Tür. Zur Sicherheit. Trotzdem, ich fühle mich nie sicher in seiner Gegenwart, nach allem was ich über ihn und über Mali weiss, scheint es mir an ein Wunder zu grenzen, dass er noch nie Opfer eines Gewaltübergriffs wurde.
Während unseres Gesprächs klopft es alle paar Minuten, mal energischer, mal weniger. Manny bleibt ruhig sitzen. Entspannt wäre das falsche Wort, entspannt habe ich ihn nie erlebt, nicht einmal zu Hause im Schlafanzug umgeben von seiner Familie. Mitte 50, im traditionellen silbernen Bazin und mit Turban und Brille strahlt er etwas Respekt Einflössendes aus.
Er formuliert bedächtig, exakt, ohne Pathos, ohne Ausschwenken. Eher zurückhaltend, doch hinter seinem wenig preisgebenden Gesicht spürt man den Geist eines hochgebildeten Mannes mit hohen Verantwortungen und einem eisernen Durchhaltewillen.
Zwölf Jahre lang hatte er das Festival au Désert aufgebaut und es zu grossem auch internationalen Erfolg gebracht, bevor es 2012 verwüstet wurde. Wie kommt ein Mann nach einer solchen Niederlage dazu, ein noch viel gewagteres Projekt auf die Beine zu stellen?
„Sie haben das Material ruiniert, geplündert, die Bühne angezündet, Instrumente verbrannt... aber ich musste weitermachen, la joie entre les humains était en danger und die einzige möglich Form war der kulturelle Widerstand. Es ging nicht mehr ums Fest, sondern ums Überleben einer Kultur.“
Ausschlaggebend für die tatsächliche Umsetzung, betont er mehrmals als möchte er sich aus dem Rampenlicht ziehen, war dann vor allem die Unterstützung gerade der beiden Festivaldirektoren und Freunde und Partner auf der ganzen Welt, die das Projekt von Anfang an gestützt hatten.
Et puis, je ne sais pas utiliser une arme! Fallait que je trouve autre moyen pour me défendre! Er lacht sein halb trockenes, halb heiteres Lachen.
L'esprit de la caravane
Ich möchte die Bedeutung der „Karawane“ ergründen. Warum genau musste es eine Karawane sein? Hättet es nicht auch ein Festival pour la paix sein können?
Die Karawanen dienten von je her dazu, dass Kulturen sich begegneten, austauschten, teilten und voneinander lernten. Gerade das kulturelle Erbe, Musik, Gedichte, Kunsthandwerk halfen das gegenseitige Verständnis aufzubauen, Formen des Zusammenlebens und der Zusammenarbeit zu entwickeln und gemeinsam Schwierigkeiten zu überwinden. Genau diese Funktion hat auch die Caravane culturelle pour la paix.
Manny Ansar ergänzt, dass ausserdem die Flexibilität eine Grundvoraussetzung sei, dass ein solches Projekt funktionieren kann.“Das Handlungsfeld ist in stetigem Wandel, Türen öffnen sich und schliessen sich wieder, heute kann ein Ort besucht werden, der gestern ausgeschlossen war und umgekehrt, wie im Fall von Mopti.
"Als Karawane bringt man genau diese Flexibilität und Mobilität mit. Kaum erblickt man einen Durchgang, bewegt man sich in diese Richtung und man muss nicht auf Grund einer Gefahrenzone das ganze Projekt abbrechen.“
Ein beachtlicher Vorteil. Das Konzept bietet sich deshalb auch in anderen Konfliktregionen an, die keinen Bezug zur nomadischen Tradition haben.
Musiker als Mediatoren
Die Caravane konnte bereits mehrmals ihre Rolle als Friedensbotschafterin beweisen. Während die Politiker hauptsächlich auf politischer Ebene an Auswegen aus dem Konflikt arbeiteten, machte es sich die Caravane zur Aufgabe, auf der Ebene der Bevölkerung den Weg zu ebnen für einen Friedensprozess.
„Le monde culturel avait plus de chance d'être écouté, il fallait que nous jouions ce rôle-là“,
war eine von Manny Ansars Bemerkungen. Diese Rolle muss ich genauer verstehen. Was kann Musik zur Friedensförderung beitragen?
In einem spontan entstandenen Gespräch mit der meist gesuchten Person während des Festival sur le Niger, Mohamed Doumbia, Festivaladministrator, habe ich die Gelegenheit einen der Schlüsselmomente der Caravane besser zu verstehen.
„Die grösste Herausforderung zu Beginn der Idee der Caravane war das durch die Krise entstandene Misstrauen. Jeder misstraute dem andern.“
Das Festival au Désert im Exil im Flüchtlingscamp in Burkina Faso (noch vor der Gründung der tatsächlichen Caravane) hätte 2013, nur ein Jahr nach der Rebellion, die erste Gelegenheit geschaffen für die Menschen der verschiedenen Konfliktparteien, sich zu begegnen und sich durch die Musik anzunähern, über Frieden und mögliche Formen des Zusammenlebens auszutauschen und die gegenseitigen Positionen und Realitäten besser zu verstehen und zu akzeptieren. Eine Begegnung, so Doumbia, die in keinem anderen Rahmen denkbar gewesen wäre.
Mohamed Doumbia erklärt an einem Beispiel: Die Geflüchteten hätten sich geweigert, mit den offiziellen Vertretern der malischen Regierung in Kontakt zu treten. Dem Festival gelang es, diesen Dialog herzustellen, Positionen und Anliegen zwischen Geflüchteten und Regierung zu vermitteln und zum Vertrauensaufbau beizutragen.
Mohamed Doumbia, Administrator des Festival sur le Niger
Wie aber gelange es der Caravane, in dieser Mediationsfunktion wahrgenommen zu werden?
Manny Ansar hatte erzählt, wie viel Mut es die Musiker des Festivals gekostet hatte, im Flüchtlingslager aufzutreten.
"On avait peur qu'ils allaient nous massacrer."
Niemand wusste, wie die Vertriebenen auf das Festival und den Aufruf zu Frieden reagieren würden und nahmen die Gefahr auf sich, mit Steinen aus dem Camp gejagt zu werden.
Mohamed Doumbia sieht den Schlüssel zur Akzeptanz im neutralen Auftritt des Festivals. "Wir haben keine Position ergriffen, wir haben niemanden verurteilt und niemanden gelobt. Unsere einzige Botschaft war: ohne Frieden keine Entwicklung. Dies gilt gerade auch für unsere Kinder, die mit unserem Erbe leben müssen." Mehr Frieden, mehr Freude. Und genau diese Lust auf Freude, hatte die Menschen ja offensichtlich ans Festival gelockt. „Enfin, tout le monde aime la joie!“, Mohamed Doumbia strahlt über das ganze Gesicht.
Ich bin einer weiteren Person begegnet, die mit Gespür und Verständnis und gleichzeitig mit einer Selbstverständlichkeit und Bescheidenheit an kleinen Hebeln schaltet, die Grosses bewirken können.
Im gleichen Rhythmus
Manny Ansar fügt ein Beispiel an, wie es der Musik gelingt, Menschen zu verbinden. Der Takamba Rhythmus zum Beispiel existiere in verschiedenen Kulturen der Region. Wenn dieser Rhythmus, der fester Bestandteil der Caravane ist, erklingt tanzen die verschiedenen Ethnien zusammen, erleben gemeinsam Momente der Freude, Unterschiede und Barrieren schmelzen, Gemeinsamkeiten werden erkennbar.
"Sie fühlen sich nur noch als Mensch unter Menschen."
Die berühmte Takamba Band Super 11 am Konzert in Sikasso
und so klingt ihr Titellied
Versöhnungskultur
Die Musik ist kein neues Phänomen in der Friedensförderung in Mali. Die Caravane baut auf einer langen, bewährten Tradition auf und ihr Erfolg hat stark mit dieser traditionellen Rolle des Musikers in der Gesellschaft zu tun. Um diese sehr enge Verbindung in ihrem Kern verstehen zu können, gibt uns Manny Ansar einen kleine Exkurs in die Rolle und Bedeutung des „Griot“.
Die Griots sind eine ethnische Gruppe, die in der hauptsächlich mündlichen Überlieferungstradition für das Hüten und Erzählen der Geschichte der einzelnen Stämme und Familie zuständig war. Diese Geschichte trugen die Griots vor, indem sie sich mit einem Musikinstrument begleiteten. Daneben war es ihre Rolle, Streit zu schlichten und während Konflikten zu vermitteln. Während jede andere Person getötet worden wäre, konnte der Griot sich beiden Parteien annähern, ohne angegriffen zu werden. So konnte er Friedensverhandlungen einleiten und den Dialog sichern zwischen den verfeindeten Parteien, wodurch eine Vielzahl der Konflikte gelöst werden konnten.
"Une foie un parti prend la sagesse de s'adresser à l'autre parti on a déjà fait la moitié du chemin."
Die Rolle des Griot in der Gesellschaft war um so wichtiger, als er grossen Einfluss auf den Ruf der Familien hatte.
Diese Sonderstellung und Immunität scheinen die Griots bis heute zu geniessen. Er habe soeben erlebt, so Manny Ansar, wie ein Griot einer hochrangigen Personen gegenüber Dinge sagte, die sich nicht einmal seine nächsten Berater gewagt hätte auszusprechen.
Manny Ansar präzisiert, dass er sich auf die ihm vertrauteste Tuareg Tradition beziehe, wobei die Griots in anderen afrikanischen Kulturen ähnliche Funktionen innehätten.
Durch diese Ausführungen lässt sich das Potential der Caravane besser einordnen. Die Rolle der Musik in der Friedensförderung geht in einem solchen Kontext weit über das „Gemeinsam Spass Haben“ oder Überbrücken kultureller und sprachlicher Grenzen hinaus. Die Musik sitzt mit am Verhandlungstisch.
Das Miteinbeziehen der Musiker in die Verhandlungen als neutrale Instanz scheint mir so einleuchtend, dass ich mich frage, ob wir nicht einen Musikrat oder Kulturrat an internationalen Institutionen einrichten müssten. Vielleicht sollten Entscheidungen und Handlungen grundsätzlich nicht von drei sondern von fünf Mächten bestimmt werden? Während die vierte die Medien innehaben, wäre dann die fünfte Instanz die Kultur.
Sie geben den Rhythmus an
Symbolträger der Friedensbotschaft der Caravane ist die Sahel-Sahara Band. Bestehend aus Musikern aus verschiedenen Regionen Malis und aus Marokko und mit unterschiedlichen ethnischen Wurzeln tritt die Gruppe im Rahmen der Caravane als eigene Formation auf, um ein musikalisches Zeichen zu setzen für die kulturelle Diversität, die Zusammengehörigkeit, Toleranz und ein friedliches Zusammenleben aller Völker in der Region Sahel und Sahara. In ihrem berühmtesten Lied mit dem bedeutungsvollen Namen „Salam“ (Frieden) singt jeder eine Strophe in seiner Sprache. Der folgende Clip von Margot Canton-Lamousse und Team nimmt uns mit auf eine Reise nach Marokko, wo sie die Band an ihren letzten Halt im Oktober 2016 begleitet hat.
Video - Sahel Sahara Band
Die Wüstenverwandtschaft
Und was hat der Frieden in Mali mit Marokko zu tun? Von aussen betrachtet würde man glauben, der Konflikt in Mali habe mit dem Marokko nicht all zu viel zu tun. "Ils sont nos frères", sagt Halim Sbaï, Direktor des Festival Taragalt und Mit-Gründer der Caravane. Er unterstreicht die Enge Verbindung zwischen dem Süden Marokkos und dem Norden Malis und holt zu einem ausführlichen Exkurs in die Geschichte der Handelsbeziehungen aus, betont die kulturelle Nähe der beiden Regionen und die mythische Assoziation mit Timbuktu und der von Marokko nach Timbuktu führenden sagenumwobenen Handelsstrecke.
Halim Sbaï, Direktor des Festival Taragalte
Mit einem eigenen Festival in der letzten Oase vor den Weiten der Sahara kann er sich besonders gut mit dem Festival au Désert identifizieren, so war es für ihn selbstverständlich, dieses zum Exil gezwungene Fest bei sich in Marokko aufzunehmen und bei der Gründung der Caravane von Anfang an mitzuziehen.
Halims Vision ist es, die durch die Ausbreitung des Konfliktes im Norden Malis beeinträchtigte Achse wiederzubeleben und mit einer echten Karawane von Musikern, Künstlern, Kamelen und Zelten von M'hamid El Ghizlan nach Timbuktu zu ziehen. Wie die berühmte Tafel unweit seines Festivals besagt, „52 jours jusqu'à Tombouctou“.
Das offizielle Festival-Video als Vorgeschmack, mehr Infos zum Festival hier.
An der Grenze der Freiheit
Die Bandbreite an Musikstylen am Festival sur le Niger ist breit. Besonders
unerwartet für mich eine "Hip Hop Musical Komödie", Resultat einer Musikerresidenz, bei der sich Hiphopper gemeinsam mit dem grossen Thema Frieden auseinandersetzen. Sämtliche Parteien des Konfliktes in Mali sind durch einen entsprechend gekleideten Sänger vertreten. Einen Moment lang bleibt mir der Atem stehen, während in fast greifbarer Nähe die UNO, der Pfarrer, das rote Kreuz, der Moslem, der Soldat und zu meinem Schrecken ein islamistische Kämpfer an mir vorbei tanzen und mir unverständliche, aber offensichtlich belustigende Texte ins Mikrofon rufen.
„Es ist die Aufgabe des Hip Hops auf Missstände aufmerksam zu machen, Dinge anzusprechen, die die Gesellschaft bewegen, aber oft verschwiegen werden. Und unsere Aufgabe ist es den freien künstlerischen Ausdruck und die Reflexionen um das Thema Frieden zu fördern, auch wenn das ein Risiko bedeutet", so Mohamed Doumbia. Das verstehe ich natürlich, aber ich muss schon sagen im gegebenen Kontext - in dem Kultur und Friedensbemühungen verfolgt werden – hätte ich irgendwo auf der Welt sein wollen, nur nicht zwei Meter von der Bühne entfernt, auf der Dschihadisten parodiert werden.
Die Stimmung an sämtlichen Veranstaltungen ist ausgesprochen ausgelassen. Diese musikalischen Pausen wirken wie Schwebemomente in einer Alltagsrealität, die von Sorgen bestimmt wird. Während ich in der mal lässig wippenden, mal vor Begeisterung kreischenden Menschenmenge stehe, kommt es mir vor, wie wenn ein ganze Nation Atem holt, auftankt, ausspannt.
Die Menschen kommen zusammen aus allen Regionen von Mali, um das zu feiern, was sie verbindet, ihre Liebe zur Musik.
Musik in der Schusslinie
Wir reisen in einem grossen Reisebus. Die Stimmung ist heiter und lässt Schlaglöcher und Hitze vergessen. Die Klimatisierung ist schon lange ausgefallen, wir schmachten vor uns hin, zum Fenster herein bläst staubiger Wind, der sofort Besitz ergreift von jeder noch so kleinen Oberläche Haut, Haar oder Telefon. Immer wieder stimmt jemand ein Lied an oder schlägt einen Rhythmus auf seinem Djembé während draussen die karge Landschaft vorbeizieht, ab und zu einige einfache Bauten, staunende Augen, winkende Kinderarme.
Zurück in Bamako möchte ich von Manny Ansar wissen, ob er schon Resultate seiner Arbeit erkenne.
"Das wichtigste: Die Menschen sprechen miteinander."
"Ich kann dabei zusehen, wie verschiedenen ethnischen Gruppen gemeinsam tanzen und festen."
Ich frage mich, ob es sich um die selben Menschen handelt, die heute tanzen und gestern oder morgen zu den Waffen greifen. "Einige ja – einige nicht", meint Ansar. "Aber überlege mal, noch diejenigen, die dem Festival fernbleiben, werden früher oder später die Sinnlosigkeit ihrer Handlung einsehen,
"pourquoi ils iraient se faire tuer pour des gens qui font la fête ensemble...?"
Neben denjenigen, die sich auf den verschiedenen Festivalgeländen austoben, gibt es aber zahlreiche Personen, die dem Fest ferngeblieben sind. Botschaften hatten ihren Staatsangehörigen die Reise nach Ségou verboten. Viele Malier reagieren mit Nostalgie, wenn ich von einem der Festivals spreche, "ich wäre zu gerne mit dabei, aber ich schaue es mir lieber vor dem Fernseher an."
„Natürlich haben die Menschen Angst, sind traumatisiert, wagen sich nicht an den Festivals teilzunehmen. Man muss die Menschen verstehen,
"das Leben zu riskieren, um an ein Konzert zu gehen, ist schon etwas.... er sucht nach dem richtigen Wort, viel verlangt“,
meint Manny.
Für ihn aber scheint das nicht zu gelten. "Natürlich stehe ich im Visier und meine Familie ist sehr besorgt, aber meine Rolle hat sich einfach so ergeben, ich bin einem Instinkt gefolgt, dem Instinkt die Kultur vor der Verdrängung zu bewahren. Das hat nichts mit Heroismus zu tun".
Heroismus hin oder her, ich wünschte mir für die Welt, mehr Menschen würden den Mut finden, auf ihr Innerstes zu hören und sich dafür so stoisch einzusetzen, was auch immer kommen möge.
Musik mit Aussicht
Weitere besorgniserregende Meldungen, weitere Schiessereien, weitere Tote, der Terrorismus scheint sich immer mehr gegen Süden auszubreiten. 24 Angriffe und 154 Tote allein in den ersten sechs Wochen, laut lokalen Medien.
Und was plant Manny als nächstes mit der Caravane?
"Mein grösster Wunsch ist es, die Caravane aufzulösen."
Wie meinst du das, frage ich verwirrt zurück? Weil seine Antwort zu gerade gar nichts zu passen scheint, was wir bisher besprochen hatten.
"Wenn wir sie auflösen, bedeutet das, dass Frieden eingekehrt ist. Wenn Frieden herrscht, braucht es keine Friedenskarawane mehr."
Und der nächste Schritt dahin?
Wir wollen zurück nach Timbuktu. Die Entschlossenheit, die sein Handeln bisher geführt hat, ist in seiner Stimme zu hören. Dieses Jahr hat es noch nicht geklappt, das Konzert musste abgesagt werden. Aber die Menschen wollen Frieden, sie sind in einer „dynamique de paix“, im Gegensatz zu früher glauben heute die meisten Menschen daran, dass Frieden möglich ist. Das ist das Wichtigste.
Wir vergrössern allmählich das Friedensgebiet auf Kosten des Kriegsgebietes, petit à petit. C'est si simple que ça.