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Kultur zwischen Fronten 

Eine Grenzwanderung der Hoffnung

Bevor ich wusste, wo Tripoli war, sah ich dieses Bild.

Ich wollte noch gar nicht loslegen mit meinem Projekt, aber dann war da dieses Bild und diese Geschichte, die es fertig brachte, dass ich in knapp zweieinhalb Wochen eine Reise ans andere Ende des Mittelmeers plante in eine mir völlig unbekannte Kultur.

Ankunft am Busbahnhof Tripoli. Aus dem Fenster sieht man nur dicke Regentropfen und verstopfte Strassen. Da wir so langsam vorwärts kriechen, haben wir Zeit, das Gewühl aus dem Bus zu beobachten. Ein weiterer Verkehrs-Schock, der alles übertrifft, was ich bisher gesehen habe: Die Autos fahren im Kreisel in beide Richtungen! Man nimmt ganz pragmatisch die nähere Strecke. Mir schwindelt, zum Glück muss ich hier nicht lenken.

 

An Taxis mangelt es nicht, aber sprachlich merkt man den Unterschied zu Beirut sofort. Mit Englisch kommen wir nicht weiter. Ich fühle mich schlecht, dass ich absolut gar nichts in der Landessprache sagen kann, dabei ist sie ja so schön. In meiner ohnehin endlosen Aufgabenliste für dieses Jahr vermerke ich im Kopf “Arabisch Grundwortschatz”. Zur Syrienstrasse müssen wir. Leider wissen die aufgeregt gestikulierenden Leute nicht, von welcher Strasse wir sprechen. Das kann ja nicht so anders heissen. Zum Glück erinnere ich mich dann doch noch an den kleinen Zettel, auf dem mir Mohammad (was würden wir ohne Mohammad machen!) die Anfahrt gekritzelt hatte. Die Bleistiftstriche auf einem abgerissenen Fetzen Papier gleichen eher Hieroglyphen, aber sie zeigen Wirkung und wir sitzen bald in einem Auto unterwegs zur berühmt berüchtigten Strasse.

 

Es folgt eine Fahrt durch gemischte Gefühle. Mir kommen die Bilder hoch, die ich bisher von Tripoli gesehen hatte: zerschossene Wohnblocks, durchlöcherte Tore, schwer bewaffnete Jugendliche, die auf gegenüberliegende Balkons feuern. Zum Glück bleibt mir nicht mehr viel Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen. Wir kommen der Destination unweigerlich näher.

 

Trotz strömendem Regen erblicken wir die bunt bemalte Wand mit den zwei sich haltenden Händen sofort. Tatsächlich sticht sie aus der grauen trostlosen Umgebung hervor und zieht den Blick wie ein Magnet an. Ich erinnere mich an eine Deutschstunde, in welcher die Gymnasiallehrerin uns irgendwie zu vermitteln versuchte, was ein “erratischen Block” sei. Ich habe das Wort seither nie wieder angetroffen, aber genau hier, ja hier würde es passen. Ein verirrter Block! Der Zeit und dem Umfeld völlig entfallen. Und dabei versprüht diese Wand bereits auf den ersten Blick so etwas wie “es geht eben doch!” und zaubert Wärme in die feuchte Kälte.


Ich bin mit meinem gesamten Gepäck unterwegs, das ich so schnell wie möglich in’s Trockene bringen will und gehe hastig zum Café, das den einzigen Schutz zu bieten scheint. Und so bin ich plötzlich mittendrin, fast schon unerwartet, weil so lange erwartet. Und ich kann es erst gar nicht richtig fassen. Hinter der Hoffnung versprühenden Wand erwartet mich heitere Stimmung. Zu gerne hätte ich den Witz verstanden, der es fertigbrachte, dass hier Allawiten, Sunniten und Agnostiker zusammen lachen:

Bevor wir uns ins Innenleben des Cafés stürzen noch etwas Hintergrund. Warum genau Tripoli und was hat es mit der Syriastreet auf sich?  Ich bin selber hier eben erst angekommen und bin noch ganz verwirrt, wir fragen besser Khaled, den Blogger und Menschenrechtsaktivist (er singt mit den Jungs auf den vorherigen Fotos). Er stammt aus Tripoli und ist ein grossartiger Geschichtenerzähler, Mediator und gleichzeitig ein unerschrockener Macher, der keine Gelegenheit auslässt, sich für Diversität einzusetzen. (Also unbedingt treffen, wenn ihr in der Region seid). Hier also Khaled’s  Tripoli-Crashkurs:

Tripoli

During the Syrian occupation (1976-2005!), especially during the 80s, the region of Bab El Tabbaneh (of Sunni majority) witnessed  oppression by the Syrian occupiers and blamed the neighbouring occupiers of Jabal Mohsen (of Alawite majority) for they were supporting the Syrian Regime.

 

During the Syrian war (since 2011) many rounds of bloody clashes occurred between the two regions that left many casualties from the two regions and fueled hate between the two sects. The clashes and hate was empowered by the Tripolitan politicians that are pro and against the Syrian regime.


With the arrival of Rafic Hariri (former Prime Minister, sunni) to Lebanon he reinforced the Sunni feeling that went stronger after his assassination (2005) and turned hate against the Shia and Alawite. Tripoli was turning into a stronghold for Sunnis (opposing the city of Dahieh which is a stronghold for Shias) and through that most of the Christians and non religious were oppressed under the label of Tripoli as a Sunni city and many minorities left the city and all those who had to stay in the city had to live by the muslim habits.

Diese Spannungen zwischen der alawitischen (hauptsächlich im Stadtviertel "Jabal Mohsen") und sunnitischen (Viertel "Bab El Tabbanehh") Bevölkerung zeigt sich sehr deutlich an der Syrienstrasse, die als Frontlinie zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen verläuft und Schauplatz von blutigen Schiessereien wurde. Durch den Einmarsch der Libanesischen Armee, konnte die Situation im Frühjar 2015 stabilisiert werden. Allerdings bleibt die Situation sehr angespannt, das Grundproblem - Armut und Perspektivlosigkeit - ist nicht gelöst. Die Militärpräsenz ist hoch, Austausch zwischen den beiden Quartieren findet kaum statt. Bis 2016 dieses Kultur-Café auftauchte. Aus einem zerschossenen Raum wurde ein bunter und offener Ort der Begegnung.


Wie diese Verwandlung möglich war, wollte ich von meiner Namensvetterin, Gründerin des Lokals und Leiterin der NGO March, Lea Baroudi, herausfinden. Dass die Jungs (hauptsächlich im ersten Video) im Hintergrund etwas Lärm machen tut mir Leid, aber ich glaube, es gibt die Stimmung im Café sehr authentisch wieder:).

"They started to realize that they were more alike than different."

Ich möchte von Lea Baroudi auch wissen, worin Sie die Wirkung von Kultur in Konfliktsituationen sieht. Das Konzept von March verbindet verschiedene Kunstformen. Graffiti, Rap, Theater und Film. Am Anfang aber stand das Theater. Was ist das Besondere an darstellenden Künsten in der Friedensarbeit? 

"In arts there is no fear."


Die Theaterarbeiten liess Lea Baroudi regelmässig filmen, also weit bevor sie wusste, wie das Projekt verlaufen würde. Dabei entstand ein Dokumentarfilm, der eine eigene Rolle spielt im Friedensprozess. Hier der vielsagende Trailer:


Was war die Funktion des Films für Lea Baroudi? Warum schien es ihr von Beginn an wichtig, das Projekt zu filmen?

"I wanted to create something positive, something that gives hope"

"We were treated like traitors"

Die Konfliktstränge sind dicht verwoben, die Narben tief, das Gedächtnis lang. Mit welchen Hauptschwierigkeiten Lea Baroudi’s Team zu kämpfen hatte, um die Vision von einem Kultur-Café in Wirklichkeit umzusetzen, formuliert sie wie folgt:

Ein Erfolgsprojekt trotz widrigster Umstände. Wenn es sogar hier möglich ist, wäre es dann nicht denkbar ein ähnliches Café in anderen Ländern aufzubauen? Lea Baroudi teilt gerne, was sie in diesen zwei Jahren gelernt hat und zeigt sich optimistisch, dass ihr Projekt auch andernorts Früchte tragen könnte:

"We never talk about reconciliation"

Es folgt die Eröffnung des sogenannten Syria Street-Projektes. In der Zwischenzeit entstand eine Ansammlung von Männern jeden Alters, Frauen sucht man hier vergeben, ausser Lea und Zeinab, die so kraftvoll strahlt, als müsse sie hier erst recht für alle Frauen der Schöpfung strahlen (Schlussbild). Bahaa Nasr und Mohammad Serhan sind lokale Koordinatoren und verantwortlich für das Projekt:

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Re-build the street together

Danach eine kurze Exkursion auf die Syrienstrasse. Filmen sei problematisch. Aber March ist Probleme gewohnt, schnell beschafft uns das Team einen Verantwortlichen der Armee, der uns begleitet und eigentlich kontrollieren soll, dass wir die richtigen Sachen filmen. Aber es scheint als würde er uns mit unseren kleinen Kameras nicht so ernst nehmen und ich bin spätestens hier sehr froh, dass wir so “leicht” reisen und kein Kamerateam und Gerät zu verstecken brauchen. Bleibt nur noch das Abwarten auf einen meteorologischen Lichtblick. Matar, matar, jaja sehr viel Regen, so viel haben wir an diesem Tag auf jeden Fall gelernt.


Wer wen vor was schützt ist nicht so ganz klar. Jedenfalls scheint der gute Herr im Hoody hier den Ton anzugeben und ich fühle mich eher geschützt als eingeschränkt durch seine “Beschattung”.

Der kurze Marsch durch die Strasse macht den Kontrast noch deutlicher zwischen den beiden Realitäten, die hier ineinander fliessen. Die Kriegsspuren sind allgegenwärtig und gleichzeitig herrscht Alltag. Auch durch Panzer im 100-Meter-Abstand lässt sich die Normalität nicht verdrängen. Die Menschen sind mir gegenüber ausgesprochen

hilfsbereit und wirken überaus aufgestellt.

 

Was braucht es, damit aus der Schiessnormalität eine Lebensnormalität entstehen kann?

 

Wie ich auf der Erhöhung zwischen den beiden Fahrspuren gehe, fühle ich mich auf einer Grenzwanderung: zwischen den beiden Quartieren, zwischen den beiden Religionsrichtungen, zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, zwischen Gewalt und Frieden.

 

Je nach dem, ob ich meinen Blick in Richtung der mit Einschüssen übersäten Gebäude oder aber Richtung Kultur Café richte, überkommt mich Hoffnungslosigkeit oder Zuversicht.

 

Alles eine Frage der Perspektive, denke ich und entscheide mich für die bunte Wand.

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