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Karim Wasfi

Creating more reasons

to respect life

Eigentlich hatte Karim Wasfi abgesagt. Kurzfristig, mehrfach entschuldigend. Nur kurzer und überhaupt erster Aufenthalt in Genf, Pressekonferenz, UNO, Konzert, Agenda voll.

 

Als ich über die Terrasse der Maison de la Paix laufe, Richtung Cafétéria, um mir meinen morgendlichen Kaffee zu holen, sehe ich auf der gegegnüberliegenden Brücke einen Haarschopf. Irgendwie bekannt, denke ich unbewusst. Bis es schaltet. Natürlich, das muss Karim Wasfi sein! Sekunden später bin ich bei ihm.

 

Er lacht, entspannt, gut gelaunt.

 

"I expected snow in Geneva!"

 

Dabei ist es erst September. Er ist unterwegs zu einer Verabredung im selben Gebäude, in dem ich arbeite. Ich nutze meine unerwartete Chance und lade ihn zu einem Kaffee ein.

"Sure, I have 30 min. "

Klingt nach einem Geschäftsmann. Nach einem Schweizer Geschäftsmann und nicht nach einem Irakischen Musiker.

Als ich zwei Minuten später mit der Ausrüstung angerennt komme, sitzt er am Tisch auf der sonnenüberfluteten Terrasse.

 

"I like how you run...You run in an interesting rhythm, hm, something between ¼ and 1/3, funny". 

Karim Wasfi ist Cellist, Komponist und seit 2007 Dirigent des Iraker Staatlichen Symphonie Orchesters in Bagdad. In der selben Stadt hat er auch das Center for Creativity - Peace Through Arts gegründet. Er wurde 1972 in Kairo geboren, Sohn einer ägyptischen Mutter und eines irakischen Vaters wuchs er in einer musikalisch vielseitig aktiven Familie auf. Seine zwei Kinder leben mit ihre Mutter seit der Flucht in den USA. Während er selbst nach wie vor in Bagdad wohnt und arbeitet.

Wir lachen beide. Das Eis ist gebrochen. Dabei hatte ich mich auf ein eher bedrückendes Gespräch gefasst gemacht. Über Krieg und Zerstörung, Ungerechtigkeit und Verlust.

 

Karim Wasfi ist Bombenmusiker. 

 

Und das in Bagdad.

An den Orten, an denen kurz zuvor ein Terroranschlag ausgeführt wurde, nimmt er sein Cello aus dem Koffer und spielt. Jedes Mal eine neue Komposition. Neuer Klang am Ort der Sprachlosigkeit, neue Bewegung am Ort des Zeitstillstandes, ein Zeichen der Gewaltlosigkeit am Ort der Gewalt, ein Schöpfungsakt am Ort der Zerstörung, denn Karim improvisiert. Und in seinem Spiel verschmilzt die Trauer um die Verstorbenen mit der Freude für die Überlebenden.

Ich möchte herausfinden, wer hinter einem solchen Akt steckt, der jederzeit tödlich enden kann und doch gewaltloser nicht sein könnte. Ich möchte verstehen ob Musik eine Antwort auf Gewalt zu geben vermag und ob sie in Konfliktsituationen mehr auszurichten vermag als eine angenehme Abwechslung.

Und nun sitzt er vor mir. Gelassen, als würde nicht er mich, sondern ich ihn auf seiner Terrasse zu Hause besuchen. Dabei betritt er dieses Land, das er sonst nur aus der Genfer Konvention kennt, gerade zum ersten Mal.

Der Kontrast könnte grösser nicht sein, eben spielte er noch vor zerbombten Häusern und nun sitzen wir zusammen vor diesem Moderne, Zukunft und Frieden symbolsierende Gebäude der Maison de la Paix. 

Schnell stellt sich heraus, dass wir uns nicht ganz einig sind mit der Terminologie. Worum geht es in unserem Gespräch überhaupt? 

Ein Hobby ist es nicht, einfach von Arbeit zu reden ist auch unpräzis und als Kampagne ist es auch schwer zu bezeichnen. Wenn man von Initiative spricht, wehrt er sich vehement und das Wort Projekt will er schon gar nicht hören. Irgendwie ist es politisch und doch keine Politik, aber es als kulturelle Tätigkeit zu beschreiben ist genauso unzureichend.

"Beat terror through beauty, refinement and civilization."

Durch die Musik, den Respekt vor dem Leben stärken. Oder wie er es auch formuliert, Menschen dazu zu bewegen, sich darauf zu konzentrieren, wie sie leben möchten und nicht wie sie sterben möchten. Ein Wunsch, den andere Menschen mit ihm teilen.

 

Karim ist ja nicht der Einzige und auch nicht der Erste, der mit Musik auf Krieg reagiert. Zu den bekannten  Persönlichkeiten gehören der "Cellist von Sarajevo" Vedran Smajlovic der Musiker aus Bosnien und Herzegowina,  der während der Belagerung von Sarajevo 1992 als Zeichen des Widerstandes Cello spielte.

 

Bekannt war auch der Akt des Cellisten Mstislav Rostropovich an der Berliner Mauer 1989. Er drückte durch Musik aus, wofür noch kein Wort gefunden wurden - die Wiedervereinigung Deutschlands.

 

Seit 2015 für Aufsehen sorgte der deutsche Strassenmusiker David Martello, der mit seinem Klavier Orte von Terroranschlägen und Gewaltausbrüchen aufsucht und in Paris, Istanbul, Donetsk und Kiev mit Liedern wie "Imagine" für mehr Menschlichkeit appelliert.

Der zeitliche und kulturelle Kontext ist bei den genannten Beispielen sehr unterschiedlich, auch die Motivation, Ausführung und Wirkung.

Beim Irak handelt es sich um eine Region, die seit Jahrzehnten von Gewalt in unterschiedlichster Form heimgesucht wird, wo eine gesamte Generation von Menschen Frieden nie erlebt hat, wo heute regelmässig terroristische Anschläge verübt werden.

Kann Musik in diesem Umfeld etwas bewirken? An einem Ort, wo Politik und Diplomatie grösstenteils erfolglos blieben. Gibt es Hoffnung auf Frieden. Gibt es Momente des Friedens und wenn ja wie klingt dieser?

Ich lasse mich leiten von Karims Wasfis Klängen und seinem Wunsch durch Musik den Respekt fürs Leben zu stärken. Seine Melodien führen mich zurück zum Juli 2016, in ein Einkaufszentrum in Bagdad, wo soeben mehrere Hundert Person bei einem Bombenanschlag ihr Leben verloren haben. (Audio) 

"Create more reasons to respect life."

Karim WasfiBombenanschlag Bagdad Juli 2016
00:00

Bereits bei den Vorbereitungen des Gesprächs mit Karim Wasfi beschäftigt mich eine Frage besonders. Wenn eine Person so viel durchgemacht hat, so viel Zerstörung erlebt, schwerste Verluste hinter sich hat und immer wieder solchem physischen wie psychischen Leiden ausgesetzt ist, wäre es da nicht natürlich mit Gewalt und Hass zu reagieren? 

Warum hasst er nicht?

Natürlich sind wir alle friedlich in einem friedlichen Umfeld, aber wer weiss, wie wir uns verhalten würden, wenn uns Dinge zustiessen, die im Krieg zum Alltag gehören. 

Warum greifen die einen zu Waffen und die anderen zu Musikinstrumenten?  In ein und derselben Situation.

 

Wie gelingt es jemandem mit einer solchen Geschichte sich nicht von der Gewaltspirale mitreissen zu lassen. Woher kommt diese Resilienz und kann man sie lernen?

Zwar will Karim Wasfi nichts über sich persönlich preisgeben. Auch bei mehrfachem Umformulieren der Frage nicht. Er sei immer gewaltlos gewesen, kein bestimmtes Erlebnis, das ihn zu dieser pazifistischen Haltung brachte, kein Lebenswandel, keine Erkenntnis. Aber Karim Wasfi teilt seine Gedanken, wie allgemein die Resilienz gegen Gewalt gesteigert werden kann: (Video)

"Hate is

self destructive."

Und dieser destruktiven Kraft setzt Karim Wasfi eine konstruktive Kraft entgegen. Der Selbstzerstörung durch Gewalt - sei es an sich oder an andern - stellt er die Schaffung des Selbst durch Musik gegenüber. 

Er will die Verantwortung wahrnehmen, das Schöne und Gute mit möglichst vielen zu teilen, es vorzuleben und die positive Wirkung des Konstruktiven im Sinne des Kreativen und Aufbauenden erfahrbar machen. Sodass Gewalt plötzlich unattraktiv, ja überflüssig wird.

Aus dieser Überzeugung gründetet er 2008 das Center for Creativity - Peace Through Arts. Es bringt junge Menschen mit unterschiedlichsten ethnischen und sozialen Hintergründen zusammen und fördert den Austausch und die Annäherung durch gemeinsames Musizieren.

Der angebotene Tausch lautet: Waffen gegen musikalische Bildung.

Gespielt wird alles. Von Mozart, über traditionelle irakische Musik und Jazz bis hin zu fernöstlichen Kompositionen.

"The aim of the center is to create and sustain peace through music and education." 

"I wanted to flood the scene with culture and beauty ."

Das klingt schön.

 

"When you perform you exist."

 

Aber man könnte auch sagen, wer schiesst, der lebt. Wer tötet, der überlebt einen andern. Wo genau ist diese Verbindung zwischen dem Akt des Musizierens und der eigenen Existenz? Und was genau ist an Musik konstruktiv?

 

Für Karim ist das ganz simple. Damit Musik ihr Schöpfungspotential voll entfalten kann, arbeitet Karim Wasfi sehr viel mit Improvisation. Erst so könne der Schaffungsprozess wirklich im Zentrum stehen. Erst ein Ton, dann eine Tonfolge, dann eine ganze Partitur. Das Gefühl etwas geschafft zu haben. Ganz alleine aus dem nichts heraus. Und von dieser Erkenntnis sei es nicht mehr weit, die eigene Schöpfungskraft auf das eigene Leben anzuwenden. Schlüsselwort Self-Empowerment. Ich habe mein Leben in der Hand, egal, wer ich heute bin, ich kann noch alles werden. (Video)

"From nothingness to who I am"

"From nothingness to who I am"

Ich möchte von Karim Wasfi wissen, ob konkrete Veränderungen, eine Wirkung seines musikalischen Schaffens auf den Bagdader Alltag erkennbar sind.  

 

Er kommt geradezu ins Schwärmen. "Es ist so viel los in Bagdad, so viel Leben, so viel Lust etwas zu unternehmen, etwas anzupacken."

"The main achievement is, that people are not scared anymore to do things". Musik als wirkungsvolles Mittel gegen Einschüchterung.

Dann kommt die Einladung. Ich müsse unbedingt nach Bagdad kommen und er beginnt mit einer Aufzählung, wen ich dann unbedingt treffen müsse und was er mir alles zeigen wolle und überhaupt "one can’t describe that, you have to see it with your own eyes!"

Er scheint meinen Gedankengang in meinem wenig überzeugten Gesichtsausdruck zu lesen. "Die grösste Gefahr ist, dass du zwei Mal so dick zurückkommst, alle werden dich überall einladen und unsere Küche ist hervorragend! Er lacht. Sein typisches, kurzes Auflachen voller Heiterkeit, etwas verschmitzt, das sich immer gleich schnell verflüchtigt, wie es ausbricht, noch bevor es einem wirklich anzustecken vermag. 

Ich frage ihn zum Abschluss, welches Erlebnis besonders eindrücklich war.

"Every moment in life is impressive".

Und etwas konkreter? Immerhin ist Karim Wasfis Leben nicht sehr alltäglich.

"Oh, yeah, yes, there was one."

 

Es klingt irgendwie so beiläufig, als würde er gleich von seinem Lieblingsessen erzählen. Nein, auch wenn er an internationaler Popularität gewinnt, ein Showman ist er nicht. Er muss einfach tun, was er tut. Und internationales Aufsehen ist nicht Ziel sondern Zweck. (Video)

"They didn't see any reason 

anymore to be violent....."

Wir verabschieden uns. Und ich bin froh, dass ich heute mit meinem Fahrrad nach Hause fahren kann und nicht im Flugzeug nach Bagdad.

Hat er sich nie überlegt, in einem sichereren Land zu bleiben?

" You mean, and bring all the musicians with me? No, Bagdad needs music. Now more than ever.

Als ich ihn später per Mail kontaktiere, schreibt er aus dem Spital. 

"my health deteriorated badly, i guess iraq is not offering good vibes sometimes"

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Neugierig auf mehr?
Karim Wasfi in Bagdad, Mai 2015
Karim Wasfi vor dem Völkerpalast in Genf,
September 2016
(© Interpeace)
Karims Beitrag an den Geneva  Peace Talks (UNOG), September 2016
(© Interpeace)
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